„Jeder von uns ist gefordert, sein Zeichen gegen Rechts zu setzen“

Bericht

Das Dreiländereck und besonders die Grenzstadt Weil am Rhein wurde in den vergangenen Monaten im Zusammenhang mit zahlreichen Vorfällen rechtsextremer Gewalt genannt. SPD-Landtagsabgeordneter Rainer Stickelberger hat sich von Anfang an klar positioniert und auch Aktionen gegen Rechts unterstützt. Im Gespräch mit Sarah Trinler spricht der Politiker über Verharmlosung der rechten Szene, Verunsicherung in der Bevölkerung und wie er als Weiler Bürger mit den Geschehnissen in der Grenzstadt umgeht.

Sarah Trinler : Von den Pegida-Aufmärschen Ende vergangenen Jahres über die Bedrohung der Familie mit Migrationshintergrund in Friedlingen bis hin zum Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Otterbach scheint die Stadt Weil am Rhein immer mehr zum Zentrum der aktiven rechten Szene in der Region geworden zu sein. Wie gehen Sie – auch als Weiler Bürger – damit um?
Rainer Stickelberger : Vor allem anderen geht es mir genau wie vielen Weiler Bürgerinnen und Bürgern: Ich reagiere zuerst einmal mit Betroffenheit und Wut. Und ich muss mit einer gewissen Fassungslosigkeit anerkennen, dass so etwas in meiner Heimatstadt überhaupt möglich ist, dass so etwas nicht weit weg, sondern neben meiner Haustür passiert. Angesagt ist jetzt, alle Rechtstendenzen klar zu benennen und ebenso klar zu verurteilen und dem durch Aufklärung und Engagement entgegenzuwirken. Alle müssen daran mitwirken, dass sich diese rechte Szene nicht weiter bei uns einnistet und das gesellschaftliche Klima vergiftet.
Sarah Trinler : Jedoch macht es den Eindruck, dass die rechtsextremen Gruppierungen sich in Weil am Rhein bereits „eingenistet“ haben: Im Weiler Gemeinderat sitzt ein NPD-Mitglied, bei der letzten Landtagswahl im März hat die AfD mit 16,3 Prozent das zweithöchste Ergebnis im gesamten Landkreis Lörrach eingefahren und im Mai hat sich in Weil am Rhein dann auch noch ein weiterer Kreisverband der Partei „Die Rechte“ gegründet. Ist es zu spät, um dagegen vorgehen zu können? Was kann man tun?
Rainer Stickelberger : Dazu darf es nie zu spät sein! Und in Weil am Rhein ist es das auch definitiv nicht – das hat ja auch das Aktionsbündnis „Miteinander“ gezeigt. Als ersten Schritt müssen alle einmal eingestehen, dass sich in Weil am Rhein ganz offenbar eine rechte Szene entwickelt hat. Dazu trägt zwar auch die Grenzlage entscheidend bei, aber die Aktivisten der rechten Szene sind Weiler Bürger und es waren ebenso Bürgerinnen und Bürger aus Weil am Rhein, die einen NPD-Mann in den Gemeinderat gewählt haben und die bei den Landtagswahlen auch der AfD ein gutes Wahlergebnis verschafft haben. Schon dies, die Einnistung einer rechten Szene, wollen manche in dieser Stadt immer noch nicht wahrhaben. Das Relativieren und Verharmlosen der Rechtsradikalen hilft diesen Gruppierungen aber nur. Als zweites gilt es, ganz klar Flagge zu zeigen, aufzuklären und die Bürgerschaft – wie es bereits geschehen ist – zu motivieren. Denn jetzt ist jeder von uns gefordert, sein Zeichen gegen Rechts zu setzen – auf der Straße, im persönlichen Alltag, in den sozialen Netzwerken, als Mitglied in Vereinen, Organisationen, Parteien und politischen Gremien.
Sarah Trinler : Mit der Gründung des Aktionsbündnisses „Miteinander“ und dem Sternmarsch am 17. September in Weil am Rhein, bei dem Sie ebenfalls teilgenommen haben, wurde bereits ein Anfang gemacht und ein Zeichen gesetzt. Hat es aus Ihrer Sicht die gewünschte Wirkung erzielt?
Rainer Stickelberger : Das Aktionsbündnis verdient höchstes Lob. Es hat ein klares Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gesetzt. Allerdings hätte ich mir noch mehr Resonanz in der Bevölkerung erhofft. Wir müssen an dem Thema dranbleiben und den Rückhalt in der breiten Bürgerschaft suchen.
Sarah Trinler : Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert, als die geplante rechtsextreme Demo für den 24. September abgesagt wurde? Was denken Sie, war die Motivation der Verantwortlichen, die Anmeldung der Demo wieder zurückzuziehen? Wohl ist nun eine Großdemonstration in Weil für November geplant.
Rainer Stickelberger : Zunächst mit Erleichterung. Aber eins ist klar: Wir müssen uns auf weitere Aktionen der rechten Szene einstellen – alle: Bürgerschaft, Verwaltung, Polizei und Justiz. Warum die ursprünglich geplante rechtsextreme Demo abgesagt wurde, ist mir nicht bekannt.
Sarah Trinler : Sicherlich hat die Flüchtlingsdebatte in Deutschland die rechtsextreme Bewegung noch weiter angeheizt. Wie hätte man diese Entwicklung aus Ihrer Sicht verhindern können? Welche Fehler wurden gemacht?
Rainer Stickelberger : Bei der Flüchtlingsdebatte ist nicht ausreichend vermittelt worden, wie die Probleme, die sich natürlich bei einer so gewaltigen Aufgabe wie der Integration von Tausenden von Menschen aus anderen Kulturkreisen stellen, gelöst werden. Und es wurde und wird immer noch nicht ausreichend vermittelt, dass gerade an den Problemen, die viele von uns am meisten ängstigen und/oder wütend machen – wie Wohnungsnot oder Altersarmut – keineswegs die Flüchtlinge schuld sind. Darüber hinaus müssen wir alle dafür werben, dass verunsicherte Bürger sich nicht von der Demokratie abwenden und unsere Gesellschaft weiterhin friedlich, offen und tolerant bleibt.
Sarah Trinler : Wie Sie im vergangenen Jahr bekannt gaben, kommen viele Täter nach rechtsextremen Delikten in Baden-Württemberg ungeschoren davon. 2014 wurden 1099 Verfahren zu fremdenfeindlichen oder rechtsextremen Fällen eingeleitet – in fast der Hälfte ließ sich aber kein Verdächtiger ermitteln. Auch für den Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Otterbach im August konnte kein Täter ermittelt werden. Sind der Justiz da die Hände gebunden? Was könnte man ändern?
Rainer Stickelberger : Die Justiz kann nur dann handeln, wenn die Täter überführt werden. Polizei und Verfassungsschutz müssen unterstützt werden, damit diese rechtsradikale Strukturen aufdecken, Straftaten verhindern und gegebenenfalls mit aller Härte verfolgen können.

Von Sarah Trinler; Foto: zVg

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