Falsche Wahl: Welche Alternativen hat Deutschland?

Allgemein

Wolfgang Antes

Der Jurist und Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke schreibt in einem Beitrag für die Süddeutsche unter der Überschrift „Verbieten bringt nichts. Ein AfD-Verbot wird unsere Demokratie nicht retten. Um Visionen wie die von Björn Höcke zu verhindern, kommt es auf etwas anderes an.“ Was könnte das sein? Eine Gegenrede.

In einer parlamentarischen Demokratie sind Parteienverbote heikel, da politische Parteien das grundlegende Instrument der politischen Willensbildung sind. Und weil politische Parteien um die „Wählergunst“ konkurrieren. Deshalb entscheidet nicht das Parlament über Parteienverbote, sondern das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Bisher gab es zwei Parteienverbote. Im Oktober 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei (SRP), eine Nachfolgeorganisation der NSDAP, und im August 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) verboten.

Das Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte zunächst im März 2003, da die Führungsebene der Partei von V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Es war nicht klar, ob die Partei ohne diese „staatliche Leitungsstruktur“ überhaupt lebensfähig sein würde. Die notwendige „staatsferne“ als Grundlage für ein Verbotsverfahren war jedenfalls nicht gegeben. Als sich die V-Leute zurückgezogen hatten, lehnte Karlsruhe ein Verbot mit der Begründung ab, es handele sich um eine inzwischen unbedeutende Splitterpartei, von der keine Gefährdung mehr ausgehe, was der damaligen politischen Wirklichkeit entsprach.

Parteienverbote sind aus einem weiteren Grund heikel. Sie rühren an einem „Paradox der Demokratie“: Wie kann verhindert, dass Gruppierungen sich die Möglichkeiten einer freiheitlichen parlamentarischen Demokratie zunutze machen, um genau diese freiheitlich verfasste Demokratie einzuschränken oder abzuschaffen. Versammlungsfreiheit, freie Meinungsäußerung, unabhängige Medien, Rechtsstaatlichkeit, das gilt schließlich für alle – auch für die, die das ablehnen. Oder?

Hier kommt, wie könnte es anders sein, die oft genannte „wehrhafte“ oder streitbare Demokratie ins Spiel. Es handelt sich, das ist wichtig, um einen Begriff des Bundesverfassungsgerichts. Damit ist nichts anderes gemeint, als die Möglichkeit, wie dargelegt, Gruppierungen, die gegen die Werte des Grundgesetzes agitieren, zu verbieten. Und es gibt verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidungen, die nicht zur Entscheidung anstehen. Mit anderen Worten: Selbst eine Mehrheit kann darüber nicht abstimmen. Es wird also als legitim erachtet, dass der Schutz der freiheitlichen Demokratie in Deutschland, Abstimmungsmöglichkeiten einschränkt. Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz, Minderheitenschutz beispielsweise stehen nicht zur Disposition. Legal soll die Errichtung einer Diktatur nicht möglich sein. Zweifellos steht der Härtetest in Deutschland noch aus. Die USA durchlaufen ihn gerade.

Damit nicht genug. Jeder Einzelne ist aufgefordert im Falle einer Gefährdung der Grundrechte, sich für diese einzusetzen. Das bedeutet auch, man kann es nicht oft genug sagen, dass beispielsweise Mitarbeitende der Sicherheitsbehörden für die Sicherheit, und nur für diese, der freiheitlichen Grundordnung verantwortlich sind. Dieser sind sie verpflichtet – und im Zweifelsfall erlischt ihre Weisungsgebundenheit, sollten sie Anweisungen erhalten, die Verfassungsrecht in Frage stellen. Das gleiche gilt für die Bundeswehr und ihre Mitglieder. „Kadavergehorsam“ gehört in eine andere Epoche.  Die Denkfigur des Civil Obedience wird hier aufgegriffen. Ziviler Ungehorsam hat Verfassungsrang. Artikel 20 formuliert: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn keine andere Abhilfe möglich ist.“ Das ist ein starkes Mandat.

Damit kommen wir, stellvertretend für andere, zu Björn Höcke, Vorsitzender der „Alternative für Deutschland (AfD)“ in Thüringen. Er sagt, man werde „das Establishment jagen“, dann stärkste Kraft werden, schließlich „die Machtfrage stellen“ und dann, es verwundert nicht, „den Kampf gegen rechts einstellen“. Es gibt viele weitere Zitate in dieser Qualität, der Verfassungsschutz hat sie gesammelt und den ganzen Landesverband (neben dem Landesverband Sachsen-Anhalt, dem Landesverband Sachsen und der AfD Jugendorganisation „Junge Alternative“) als rechtsextrem eingestuft. Parteien, die demokratisch gewählt werden, sind durch diese Wahl nicht automatisch demokratisch legitimiert, schreibt von Lucke. Das stimmt. Und er lässt auch keinen Zweifel daran, dass ein Verbot, zumindest einzelner Landesverbände der AfD, eine Möglichkeit und sogar ab einem bestimmten Zeitpunkt juristisch geboten sei. Interessanterweise hält von Lucke jedoch ein Verbot der AfD politisch für unklug, es würde der Demokratie mehr schaden als nützen. Warum?

Von Lucke argumentiert, ein Verbot der AfD würde eine Partei treffen, die derzeit in einigen Bundesländern stärkste Kraft ist – und zeitweise zweitstärkste bundesweit. Mit einem Verbot würde man damit ein Fünftel oder bis zu einem Drittel derer, die wählen wollen, die Partei ihrer Wahl nehmen. Dies sei ein politischer Offenbarungseid und könne nur zu einer weiteren Abwendung der Wählerinnen und Wähler von demokratischen Prozessen führen. Im Übrigen sei die AfD „too big to forbid“, zu groß, um sie zu verbieten. Konsequent sieht der Jurist von Lucke ein Parteienverbot nicht als Ausdruck einer starken, wehrhaften Demokratie, sondern als Eingeständnis von Schwäche, der undemokratischen Konkurrenz nicht „auf normalem, politischem Weg Herr zu werden.“ Was könnte der normale, politische Weg sein? Von Lucke sagt, die Parteien, die sich der Demokratie, wie wir sie kennen, verpflichtet fühlen, müssten ihre „Attraktivität“ verbessern, da die AfD durchaus manchmal den Finger „in eine schwärende Wunde lege“. Indem dieser Seismograph beseitigt werde, würden die Probleme nicht beseitigt, auf die die AfD hinweise.

Das ist korrekt. Und genau das behauptet niemand. Denn darum geht es nicht. Die Unterstellung, die AfD wolle Probleme der Menschen mit dem Instrumentarium der liberalen, parlamentarischen Demokratie „zukunftsfähig“ lösen, das ist kühn. Es stimmt, die Kosten für Mieten sind zu hoch. Für ein Fünftel der Beschäftigen, das Gehälter auf Mindestlohnbasis bezieht, kaum bezahlbar.  Zuwanderung von Fachkräften und die Aufnahme von Geflüchteten verstärkt diesen Druck. Es stimmt, das öffentliche Verkehrssystem, das Bildungssystem, das Gesundheitssystem arbeiten an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die Bundeswehr ist im Wortsinn pazifistisch, weil verteidigungsunfähig. In Europa ist Krieg. Die Liste ließe sich fortsetzen. An diesen Themen und an vielen anderen arbeiten die Regierungsparteien intensiv, ebenso die demokratische Opposition im Bundestag. Hier gibt es kein „Angebot“, das fehlt. Wenn aber eine Partei, diese „Mängelliste“ und die zugegeben wirklich komplexe, schwierige und bedrohlich wirkende politische Wirklichkeit in der die Bundesrepublik Deutschland als Staat handeln muss, benutzt, die „Systemfrage“ zu stellen, dann agiert diese Partei außerhalb des Systems. Ohne Ausländer gäbe es keine Wartelisten beim Arzt, kleine Schulklassen mit klugen Schülerinnen und Schülern, billigen Wohnraum, kaum Kriminalität, höhere Löhne für alle. Selbst darüber ließe sich streiten. Aber, beispielsweise, über „Umvolkung“, „Rückführung volksfremder“ Gruppen?

Die Argumente, die von Lucke gegen ein Parteienverbot anführt, sind oft zitiert und prototypisch. Sie haben den Klang eines juristischen Proseminars über Parteienkonkurrenz, das traumtänzerisch an der Wirklichkeit vorbeihuscht. Das ist ein Kategorienfehler. Übertragen auf das Strafrecht würde das bedeuten, wenn sich genügend viele Menschen für Mord als Konfliktlösung entscheiden, dann kann man diese Menschen nicht durch Gefängnisstrafen ausgrenzen, das würde das Rechtssystem unterminieren. Offensichtlich fehlten Anreize, um auf Mord zu verzichten. Dieser Vergleich stammt von Ronen Steinke. Er hat Recht. Bei der AfD besteht ein berechtigter Anfangsverdacht. Dieser muss aufgeklärt werden. Das ist Sache der Justiz, nicht eine Frage von Politik. Das Bundesverfassungsgericht ist unabhängig, niemandem subordiniert, ausschließlich dem Grundgesetz verpflichtet. So sollte es bleiben.

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