Wie „neues Denken“ die Demokratie unterwandern kann

Allgemein

11. Forum Albbündnis tagte zu weltanschaulichem Extremismus

Von Robert Zolling

Sigmaringen (vea). „Wir diskutieren nicht Glauben oder Überzeugungen. Dies ist Gegenstand privater und persönlicher Auseinandersetzungen. Wir sprechen hier heute über objektiv wahrnehmbare Strukturen, mögliche Auswirkungen mancher Ideen auf unsere Gesellschaft und sichtbare Problemfelder wie z.B. die Anschlussfähigkeit bzw. Offenheit manch „neuem Denkens“ an extremistische Ideologien.“ So steckte Cord Dette, Leiter des regionalen Demokratiezentrums Albbündnis, vergangene Woche die Kommunikationsregeln für das 11. Forum Albbündnis im Landratsamt Sigmaringen ab.  Unter dem Motto „Unterwanderte Demokratie“ widmete sich das Forum des „Albbündnisses für Menschenrechte – gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ demokratiegefährdenden Strömungen aus dem Bereich des fundamentalistischen Glaubens in speziellen Freikirchengemeinden, der rechten Esoterik und dem sogenannten „Reichsbürgertum“.

Gefährliche Vermengung von „neuem Denken“ mit extremistischen Ideen

Beim 11. Forum Albbündnis referierte Matthias Pöhlmann über die „Unterwanderung der Demokratie“ durch rechte Esoterik, fundamentalisitschen Glauben und Reichsbürgertum.
Foto: Dietmar Unterricker/ LRA

Dr. Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche in Bayern und Vorsitzender des Ausschusses „Religiöse Gemeinschaften“ der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) zeichnete die gefährliche Vermengung des „neuen Denkens“ mit extremistischen Ideen in seinem Vortrag nach. Am Beispiel der Corona-Demos, die sich zu den „Montagsspaziergängen“ mit austauschbaren Themen weiterentwickelten, wurde deutlich, wie die „bunte Misstrauensgemeinschaft“ aus Querdenkern, Esoterikern, Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern und Reichsbürgern durch ideologische Schnittmengen Anschlusspunkte zueinander findet. Dazu gehöre laut Dr. Pöhlmann durch vermeintliches „Geheimwissen“ ein höherer Erkenntnisanspruch als andere, welcher in sich schon ein Autoritätsanspruch darstelle. Hinzu komme ein besonderer Freiheitsbegriff, der mit einer Distanz zur Gesellschaft und starkem Misstrauen gegenüber dem Staat zu tun habe und oft mit dem Verdacht auf Manipulation durch eine diffuse „Elite“ einhergehe. Dieses Feindbild vermengt sich schnell mit der antisemitischen Verschwörungstheorie einer „jüdischen Hochfinanz“ um die Familie Rothschild, wahlweise Bill Gates, um den „Great Reset“, nachdem die Regierungen durch Viren, Kriege etc. eine Bevölkerungsdezimierung mit dem Ziel einer neuen, diktatorischen Weltordnung planten oder sich eine „Elite“ mit dem Blut von Kindern ewig jung halte. Wenn im Bekanntenkreis die Schlagworte „QAnon“, „Deep State“ oder „Great Reset“ fallen, sollten alle Alarmglocken schrillen. Auch harmlos daherkommenden esoterischen Öko- oder Alternativ-Medizin-Bewegungen wie dem „Anastasia-Kult“ oder der „Neuen (germanischen) Medizin“ liegen antisemitische und demokratiefeindliche Annahmen über die Welt zugrunde. „Ich warne davor, diese Weltanschauungen zu verharmlosen“, so der Experte Dr. Pöhlmann.

Vertiefende Diskussionen und Ringen um Handlungskonzepte

In den folgenden Workshops des Forums wurden unter anderem vom Verfassungsschutz beobachtete Freikirchen unter die Lupe genommen: z.B. die „Baptistenkirche Zuverlässiges Wort“ in Pforzheim und die „Evangelische Freikirche Riedlingen“. Die jeweiligen Predigten zielten auf eine ähnliche Anschlussfähigkeit wie bei nicht-religiösen Verschwörungsgläubigen ab: Eine Ohnmacht gegenüber einer hochkomplexen Welt und der eigenen begrenzten Einflussnahme auf Geschehnisse führt zu einem Gefühl des Kontrollverlusts, das mit dem eigenen Sicherheitsbedürfnis kollidiert. Hinzu kommt das Streben nach Einzigartigkeit und einer positiven Selbstwahrnehmung, erklärte der Theologe und Journalist Fabian Maysenhölder; das könne in radikalem Glauben münden.

Umso wichtiger, Suchenden ein Gegenangebot machen zu können, besonders im Bereich der Jugendarbeit. Dafür bündelt und vernetzt das Albbündnis Fachkompetenz und Expertenwissen um zu sensibilisieren, aufzuklären und demokratische Werte zu stärken. Mitglieder des Albbündnisses sind neben dem Mariaberg e.V. die Bruderhaus Diakonie – Stiftung Gustav Werner und Haus am Berg mit dem Fachdienst Jugend Bildung Migration, die Caritas Schwarzwald-Alb-Donau, das Diasporahaus Bietenhausen e.V., das Haus Nazareth Sigmaringen, der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V., das Polizeipräsidium Reutlingen, die pro juventa gGmbH sowie die Stadt Rottenburg.

Das Beratungsnetzwerk „kompetent vor Ort“ bietet regionale Anlaufstellen zum Thema Rechtsextremismus. Bei der Meldestelle REspect! kann man anonym Hasskommentare aus dem Netz melden. Und die Fachstelle PREvent!on zur Prävention von religiös begründetem Extremismus bietet Informationen und Qualifizierungsmaßnahmen für Fachkräfte der Jugend- und Schulsozialarbeit sowie Lehrkräften. Alle Stellen bieten auch kostenlose Beratungen für Interessierte und Betroffene. Das Albbündnis ist Teil des Beratungsnetzwerks „kompetent vor Ort. Gegen Rechtsextremismus“ und eng verbunden mit dem Regionalen Demokratiezentrum Albbündnis. Im Albbündnis wirken die vier Landkreise Sigmaringen, Zollernalb, Reutlingen und Tübingen mit sowie Organisationen der Jugendhilfe und der Gedenkstättenverein Neckar – Gäu – Alb.

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